Ich bin ja von Haus aus feige. Ok, feige ist vielleicht das falsche Wort, denn ich bin in vielen Situationen durchaus sehr mutig. Was mich manchmal selbst überrascht. Sagen wir es so: Ich verlasse meine Komfortzone äußerst ungern, wenn es darum geht, von dem abzuweichen, was ich gut kenne. Wo das Risiko für mich kalkulierbar ist. Meine Hood, mein Block. Wo jeder mich kennt und ich mir mein Standing nicht erst noch verdienen muss. Das gilt sowohl für meine private Umgebung als auch für den Job.

So habe ich es von klein auf gelernt. Sei bescheiden, gib nicht an, sei froh an dem, was du hast und hinterfrage dich erstmal immer selbst, bevor du mit dem Finger auf andere zeigst. An sich keine schlechten Eigenschaften.

Irgendwann habe ich aber bemerkt, dass falsche Bescheidenheit, das Ignorieren eines miesen Bauchgefühls und das Vorschieben von Gründen, nichts an seiner Situation ändern zu müssen, richtig nach hinten losgehen kann. Und es meistens auf lange Sicht gesehen auch tut.

Angst vor Neuanfängen. Kann ganz schön nach hinten losgehen.

Ich glaube, ich habe an anderer Stelle schon einmal von meiner Ex-Beziehung erzählt, in der mein Partner sehr geklammert hat. Vor der Beziehung war ich ein lebenslustiger Mensch gewesen, der gerne auf Partys ging, Freunde getroffen hat und auch mal erst nach Hause kam, wenn es hell wurde. Dieser Mann hielt von dieser Art zu leben aber nicht viel. Meine Freunde fand er doof, allein weggehen lassen wollte er mich aber auch nicht, denn es hätte ja sein können, dass einer von denen, die ich seit Jahren kannte, beschließen könnte, mich an genau diesem Abend anzugraben. Mein Einwand, dass sie das wohl kaum in Anwesenheit ihrer Freundin machen würden, zog leider auch nicht.

Und so kam es, dass ich nach etwa einem Jahr, in dem ich quasi sämtliche Kontakte auf null runtergefahren hatte und jedes Mal Schnappatmung bekam, wenn mich auch nur jemand zu seinem Geburtstag einlud, das starke Gefühl hatte, dass ich diese Beziehung beenden musste. Tat ich aber nicht. Aus Mitleid. Und aus Angst, ich würde nie wieder jemanden finden. Aus heutiger Sicht lächerlichst. Ich war 23.

Neuanfänge
Wenn dein Bauch dir sagt, es ist besser zu verschwinden, solltest du es dringend auch tun.

Das Ende vom Lied: Nach zwei Jahren suchte er sich eine andere. Und ich fiel aus allen Wolken. Da hatte ich doch mein ganzes Leben für diesen Typen aufgegeben und jetzt war ich die Betrogene. Und konnte gefühlt wieder bei null anfangen.

Ganz ähnlich ging es mir, als ich anfing zu arbeiten. Die erste Zeit war alles super, bester Job ever, tolle Kollegen, besser ging es nicht. Irgendwann änderten sich jedoch einige Rahmenbedingungen, womit ich nicht einverstanden war und die auch aus arbeitsrechtlicher Sicht äußerst fragwürdig erschienen. Trotzdem blieb ich. Denn es gab immer wieder einen Grund, dem Ganzen noch eine Chance zu geben. Die Teamleitung wechselte, der Chef war neu, der Teamspirit endlich nach einer riesigen Fluktuationszeit wieder super. Ich hatte nach all den Jahren ein gutes Standing, war Ansprechpartner und Vertrauensperson für viele Kollegen. Und ich liebte diese Menschen einfach.

Und das sollte ich aufgeben? Für einen Sprung ins Ungewisse? Perfekt ist es doch nirgends, zu motzen hat man immer was. Und dass einem ein einziger quertreibender Arschkollege das Leben versauen konnte, hatte ich durchaus auch schon erlebt. Das alles riskieren und all diese wunderbaren Menschen hinter mir lassen und nicht mehr zu dieser einzigartigen Gemeinschaft gehören? Für einen Job? Niemals.

Und dann kam sie. Die betriebsbedingte Kündigung. Und auf einmal verflucht man all die guten Gründe, die einen davon abgehalten haben, das zu tun, was man schon seit Jahren mit seinem Bauchgefühl rumgetragen hat: Dass hier einfach was nicht stimmt. Dass es irgendwann nicht mehr ehrenhaft, sondern dumm ist, loyal zu bleiben, obwohl man sich verarscht fühlt. Dass man schon längst etwas Besseres verdient hätte. Und dann eines feststellt: dass die Menschen, die man ins Herz geschlossen hat, trotzdem immer ein Teil des Lebens bleiben.

Und auf einmal entscheidet ein anderer über dein Leben.

Plötzlich ist man gezwungen, etwas zu ändern. Weil es ein anderer so entschieden hat. Nur weil man nicht dafür eingestanden ist, was man sich schon längst für sich gewünscht hatte. Weil die Selbstzweifel größer waren. Darf ich das? Verlange ich zuviel? Hab ich einen besseren Partner verdient oder kann ich froh sein, überhaupt einen abzubekommen?  Kann ich das überhaupt oder übernehme ich mich und scheitere dann grandios im nächsten Job?

Und das Schlimme ist: Diese Zweifel werden nicht kleiner. Im Gegenteil. Denn plötzlich will der Partner, der Job, den man vorher schon irgendwie doof gefunden hat, einen auch nicht mehr. Wie zur Hölle soll man dann etwas bekommen, das besser zu einem passt und womöglich höhere „Standards“ erfüllt?

In so einer Situation den Kopf hoch zu halten und sich trotz allem nicht unter Wert zu verkaufen, ist ziemlich schwierig. Zumal die Menschen dazu tendieren, einem das auch noch auf’s Brot zu schmieren. „Was? Du hast auch noch Ansprüche? In deiner Situation? Pffff.“

Was ich daraus gelernt habe: Neuanfänge sind unvermeidlich. Auch wenn es richtig unangenehm ist, wieder „die Neue“ zu sein, sich neu beweisen zu müssen, neue Männer kennenzulernen und sich der Gefahr auszusetzen, dass der nächste Job oder der nächste Mann ein Schuss in den Ofen sein kann. Man muss sich einfach trauen, sobald der Bauch sagt, dass die Dinge irgendwie nicht mehr passen. Denn nur so behält man die Kontrolle und kann bewusst entscheiden.

Einfach mal machen. Eine große Challenge für mich.

Aus Angst, eine falsche Entscheidung zu treffen und damit Zeit zu verlieren, bin ich oft in Situationen geblieben, in denen ich schon lange unglücklich war. Die Wahrheit ist: Die wahre Zeitverschwendung findet statt, indem ich auf der Stelle trete und versuche, etwas zu reparieren, von dem ich längst weiß, dass es unwiederbringlich kaputt ist. Dabei handle ich nicht unüberlegt oder vorschnell. Ich suche das Gespräch, mache Verbesserungsvorschläge. Aber offenbar bin ich nicht gut darin zu erkennen, wann ich genug getan habe. Und Konsequenzen ziehen muss.

Neuanfänge sind also im Grunde etwas Gutes. Denn sie bieten die Chance, sich komplett neu einzunorden. Sich neu zu erfinden. Und zu definieren, welche Dinge man endlich aussortieren sollte, um Platz für neue zu schaffen, die glücklicher machen. Ich musste es auf die harte Tour lernen, aber: Die allerbesten Neuanfänge sind die, für die ich mich selbst entscheide. Bevor mich das Leben dazu zwingt.

Ich arbeite daran.


Seid ihr gut im „Neuanfangen“? Oder gehört ihr wie ich auch eher zu denen, die die Dinge lieber aussitzen und dann mit den Entscheidungen durch andere klar kommen müssen?  Let me know, in den Kommentaren hier, bei auf Facebook oder Instagram.

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Eine Antwort zu „Und keinem Anfang wohnt jemals ein Zauber inne – Warum ich Neuanfänge hasse.”.

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