Ich muss so ungefähr sieben oder acht Jahre alt gewesen sein, als mir eines abends im Bett, völlig unvermittelt und aus heiterem Himmel meine eigene Endlichkeit bewusst wurde. Sollte ich jetzt sterben, dann würde meine Existenz für immer aufhören. Ich wäre nicht mehr da, könnte nicht mehr sprechen, nicht mehr nachdenken. Der Tod würde mein Leben beenden.
Dieser Gedanke traf mich damals wie ein Schlag. Ich weiß es noch ganz genau. Und es machte mir furchtbare Angst. So sehr, dass ich in das Bett meiner großen Schwester kroch und ihr weinend von meinen dunklen Gedanken erzählte. Ich weiß nicht mehr, was sie damals zu mir sagte. Wahrscheinlich versuchte sie mich zu beruhigen, selbst schlaftrunken und genervt, dass die kleine Schwester sie geweckt hatte. Lange Zeit, hatte ich nicht mehr daran gedacht, doch jetzt, fast 35 Jahre später, denke ich wieder öfter an dieses Erlebnis meiner Kindheit zurück.

Vielleicht ist es das fortschreitende Alter, dass mich mehr über mein Leben und die mir verbleibende Lebenszeit nachdenken lässt. Vielleicht, wenn alles gut läuft, habe ich ungefähr nochmal die gleiche Zeit an Leben übrig. Aber darf man so überhaupt denken? Der Tod hält sich nicht an Absprachen. Vielleicht bekomme ich in 10 Jahren eine tödliche Krankheit. Oder ich habe nächste Woche einen tödlichen Unfall. Wer weiß das schon. Ich nicht, und wenn ich ehrlich bin, möchte ich es auch gar nicht wissen. Das würde mir den Spaß am Leben nehmen.
Den richtigen Moment gibt es nicht
Mein Vater starb als ich 19 war. Plötzlich, ohne Vorankündigung, wurde er mit gerade mal 53 Jahren durch einen Herzinfarkt aus dem Leben gerissen. Ich hatte sehr lange damit zu kämpfen. Vor allem, dass ich mich nicht verabschieden konnte. Das war meine erste direkte Erfahrung mit dem Tod. Viele sprechen immer davon, man soll nie im Streit auseinandergehen und nichts unausgesprochen lassen. Ein weiser Ratschlag, an den sich trotzdem niemand hält. Wir verbringen unsere Zeit nicht damit, unseren Liebsten permanent zu sagen, was uns auf der Seele brennt oder sprechen Dinge aus, die wir schon immer einmal sagen wollten, uns aber nicht getraut haben, weil wir auf den richtigen Moment gewartet haben.
Aber den richtigen Moment gibt es nicht. Wir neigen dazu große Entscheidungen lange vor uns herzuschieben, weil wir erst das Für und Wieder gegeneinander aufwiegen wollen. Wann ist der richtige Zeitpunkt fürs Kinderkriegen gekommen? Ist jetzt der richtige Moment, den Job zu wechseln? Soll ich diese Reise, die ich mir schon immer gewünscht habe jetzt antreten? Eigentlich ist jetzt nicht der richtige Moment dafür.
Ich bin auch so. Viele Entscheidungen schiebe ich auf die lange Bank, weil ich glaube, dass vielleicht doch noch ein besserer Moment dafür kommen wird. Aber in den allermeisten Fällen wird das nicht passieren. Denn später kommt wieder etwas anderes dazwischen. Oder wir haben plötzlich keine Zeit mehr, auf den richtigen Moment zu warten.
Bei einem sehr guten Freund wurde im April 2018 ein Hirntumor festgestellt. Vom Tag der Diagnose bis zu seinem Tod blieben ihm ziemlich genau 6 Monate, die er fast ausschließlich in irgendwelchen Krankenhäusern verbrachte. Es gibt ihn nicht, den richtigen Moment.

Vor ein paar Wochen fragte mich mein Sohn plötzlich mitten im Spiel: „Mama, wann sterbe ich?“ Beim Gedanken an diese Situation bekomme ich noch immer eine Gänsehaut. Ich weiß nicht wie er auf diesen Gedanken kam, er konnte es mir auch nicht sagen, aber vielleicht ging es ihm ähnlich wie mir als Kind. Natürlich hat er noch nicht das Bewusstsein für seine eigene Endlichkeit, aber doch zumindest das Verständnis, dass es einen Tod gibt.
Was erzählst du also einem Dreijährigen über das Sterben? Ich sagte ihm, dass ich nicht wisse, wann er sterbe, aber dass er sicher noch sehr lange lebe und wir viel Zeit zusammen verbringen würden. Ob ich die Wahrheit gesagt habe, weiß ich nicht. Und allein dieses Bewusstsein schnürt mir wieder den Hals zu.
Ich will kein Leben im Konjunktiv, die Angst vor dem Tod ist trotzdem da
Es soll sich auf keinen Fall so anhören, als würde mein Leben permanent von all diesen Gedanken über den Tod bestimmt, denn ich bin durchaus ein positiver und optimistischer Mensch. Aber wenn ich darüber nachdenke, macht der Tod mir trotzdem Angst. Wäre morgen mein letzter Tag, könnte ich heute behaupten, ich hätte mein Leben gelebt?
Das Bewusstsein meiner eigenen Endlichkeit hat in den letzten Jahren sehr stark meine Einstellung zu vielen Dingen verändert. Ich habe vor einiger Zeit den Entschluss gefasst, dass ich mein restliches Leben sehr viel bewusster verbringen möchte. Bewusst nicht unbedingt im Sinne von gesünderer Ernährung und Sport, sondern vielmehr in dem Bewusstsein, dass ich nur dieses eine Leben habe.

Ich will kein Leben im Konjunktiv führen. Will nicht darüber nachdenken, ob mich eine Sache glücklich gemacht hätte, sondern sie ausprobieren, auch auf die Gefahr hin, dass es sich vielleicht nicht so anfühlt, wie ich es mir gewünscht hätte. Ich will meine Zeit mit schönen Augenblicken und wertvollen Erinnerungen füllen. Für mich, meine Kinder, meinen Partner. Ich will das Leben feiern.
Das mag pathetisch klingen, aber wenn wir ehrlich sind, ist das doch das einzige, was wirklich zählt. Ich will nicht in ein paar Jahren zurückblicken und sagen: „Ach hätte ich doch nur.“ Mir ist auch klar, dass nicht jeder Tag ein großes Fest sein kann und Sätze wie „Lebe jeden Tag als wäre es dein letzter“ in der Theorie fantastisch klingen, in der Realität aber schwer umsetzbar sind. Aber ich glaube, dass ich mein Leben bewusst in eine Bahn lenken kann, auf die ich, hoffentlich in sehr vielen Jahren, zurückblicken und zu mir selbst sagen kann: „Das hast du gut gemacht, es war ein schönes Leben“.
Wie sind deine Gedanken zum Thema „Tod“? Gehst du offen damit um oder versuchst du den Gedanken daran eher zu verdrängen?
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Weitere Gedanken über das Leben findest du hier Keine 2. Chance – das Leben ist zum Leben da