SINNKRISE. Dieses Wort beschreibt ziemlich genau, worum meine Gedanken in letzter Zeit mal wieder ununterbrochen kreisen. Eigentlich könnte ich ja glücklich sein. Eine schwere Krankheit in der Familie überstanden, endlich wieder einen Job gefunden.

Dankbar bin ich auf jeden Fall. Aber irgendwie scheint es, als hätten diese beiden großen Themen viele meiner Sorgen überdeckt, auf’s Abstellgleis gestellt. Einerseits eine wertvolle Erfahrung, denn offenbar gibt es noch Schlimmeres als Single zu sein. Auf der anderen habe ich viele Themen auch zwei Jahre lang ignoriert, ohne an ihnen zu arbeiten oder etwas dagegen zu tun. Zwei Jahre, die ich einfach verloren habe.

Wobei ich zugeben muss: Es war auch mal ganz befreiend, sich nicht ständig damit befassen zu müssen. Aber jetzt bin ich zurück: In meinem Singlealltag voller Arbeit. Und frage mich, ob es vermessen ist, jetzt nach wirklich intensiver täglicher Dankbarkeit auch mal wieder ganz persönliche Wünsche nach (noch) mehr zu haben.

Ich habe immer gern gearbeitet, auch wenn die Arbeit für mich schon immer eine emotionale Herausforderung war. Weil ich mir zu wenig zutraue, mir alles viel zu sehr zu Herzen nehme und viel Energie in zwischenmenschlichen Dingen verliere, die mir zusetzen. Und kaum jemand in meinem Umfeld versteht, wie sehr mich das belastet. Teilweise sogar körperlich, in Form von Schlaf- und Appetitlosigkeit, Migräne und Magenschmerzen. Deswegen spreche ich nicht gern darüber. „Reiß dich halt mal zusammen, jeder muss arbeiten. Sei mal nicht so empfindlich. Du bist ja ganz schön schwierig.“

Der Job als Herausforderung. Ich spreche nicht gerne darüber, weil kaum einer das nachvollziehen kann.

In der Wirtschaft – und eigentlich der Welt im Allgemeinen – sind einfach zu viele Egoisten unterwegs. Und je älter ich werde, desto weniger habe ich Lust darauf. Ich will einerseits finanzielle Sicherheit haben. Andererseits aber auch endlich mal nicht mein ganzes Leben auf die Arbeit ausrichten.

Und paradoxerweise kehren momentan auch viele jener Gefühle zurück, von denen ich dachte, ich hätte sie mit zunehmender Berufserfahrung überwunden. Offenbar muss man mich aber nur aus meiner gewohnten Umgebung reißen, in der ich alles selbstsicher im Schlaf erledigt habe, die Aufgabengebiete abändern und ein paar schwierige Kollegen und Vorgesetzte dazusetzen – und schon bin ich wieder Berufsanfänger. Zumindest innerlich.

Ich habe keine Lust mehr. Aber worauf genau? Ist es der Job, die Branche, dieses Marketing – das ja alle ach so toll finden, vor allem seit Instagram, wo sich jeder plötzlich denkt „Kann ich auch.“ – und vielleicht irgendwie noch nie so richtig was für mich war und mir grade als ungefähr der überflüssigste Berufszweig des Universums erscheint, weil keiner stirbt, wenn es keine Werbungsmenschen mehr gibt? Ich habe keine Ahnung.

„Beim nächsten Job wird alles anders“, hatte ich mir mal geschworen. Keine endlosen Überstunden mehr, keine drei Stunden täglich auf der Autobahn. Keine überkandidelten Kunden mit überzogenen Anforderungen. Oder mit Putzen verbrachten Samstagen, weil unter der Woche nicht mal dafür Zeit war. Dafür endlich Zeit für Hobbies, Freunde, Sport, Beziehung. Und ohne ständig um die Arbeit kreisende Gedanken.

Sinnkrise durch sinnbefreiten Job. Oder ist doch was anderes?

Einige dieser Dinge haben sich tatsächlich etwas geändert. Aber eben nicht alle. Vor allem nicht auf der emotionalen Ebene. Und das macht mich aktuell sehr nachdenklich. Habe ich den letzten Jahren vielleicht den Bogen einfach überspannt? Habe ich Grenzen ignoriert, aus Pflichtgefühl, und kann jetzt gar nicht mehr zurück, weil ich nur noch negative Gefühle mit Arbeit verbinde? Oder ist es vielleicht doch so, dass ein zwangsweise verdrängter Kinderwunsch die Sehnsucht nach etwas anderem als Arbeit als Lebensinhalt bis zur Rente so groß werden lassen kann, dass kein Job der Welt das ausgleichen könnte?

Ja, ich gebe es zu: So sehr mir Mütter manchmal auf den Keks gehen, weil viele mit einem Selbstverständnis von „Aus dem Weg, ich bin MUTTER. Jetzt haben alle anderen hier mal Sendepause, weil mein Leben ist das anstrengendste EVER!“ durch die Welt rauschen: Ich möchte endlich auch mal Teil des Windeltalks sein. Damit angeben, was mein Kind schon alles kann. Anderen auf den Sack gehen damit. Um dann selbst genervt davon und von mir zu sein und mich vielleicht sogar in den Job zurückzusehen. Aber endlich mal wieder das Gefühl haben dazuzugehören.

Hand mit Babyfüßen, kann einen wahrlich in eine Sinnkrise stürzen
Mal eine Pause vom Arbeitsleben nehmen. Und sich den wichtigen Dingen zuwenden. Ob das meine Lösung wäre?

Die ersten meiner Freundinnen planen schon, was sie mit ihrer Freizeit anfangen, wenn die Kinder aus dem Haus sind. Weil der große Sohn grade 14 geworden ist. V-I-E-R-Z-E-H-N! Und ich hab noch nicht mal angefangen mit dem Mamasein. Und muss mich langsam damit befassen, dass es wahrscheinlich auch nie so weit kommen wird.

Der Gedanke, dass der Job für immer das einzige sein wird, was mein Leben ausfüllt, ist beängstigend. Und zum Kotzen. Weil ich es mir nicht ausgesucht habe – auch wenn ich rückblickend sicher ungewollt einen großen Teil dazu beigetragen habe. Und nein, grade hilft mir auch dieses Blabla von wegen „das Leben kann auch ohne Kinder schön sein“ nicht weiter. Trotz meiner grundsätzlich positiven Einstellung, die ich in den letzten Jahren gewonnen habe. Lasst einfach stecken, Ihr selbsternannten, aus der Coronakrise geborenen Instagram-Wochenendkurs-Life-Coaches.

Andererseits: Ich bin weniger belastbar als früher. Ich mache mir noch mehr Gedanken. Ich brauche unfassbar viel Schlaf. Ich weiß nicht mal, ob ich dauerhaft einen Partner in meiner Wohnung ertragen könnte, weil ich es einfach nicht mehr gewohnt bin. Und wenn der dann auch noch seine eigenen Möbel mit in meine wohl orchestrierte Maisonettewohnung bringen will. Nicht auszudenken! Kann ich einem Kind also überhaupt gerecht werden?

Tatsache ist aber: Ich will auf keinen Fall irgendwann bereuen, dass mich solche Gedanken dazu gebracht haben, diesen Wunsch aufzugeben. Angst haben alle. Der Zeitpunkt passt nie. Entweder ist man zu jung, zu arm, zu Single, zu frisch im Job, zu müde, zu alt… irgendwas ist doch immer. Oder alles gleichzeitig.

Aktuelles Nervszenario: das dauerkreischende Baby meiner Nachbarn

Jetzt wäre genau richtig. Auch wenn – oder grade weil? – ich im Job noch lange nicht angekommen bin. Auch wenn ich Single bin, dauermüde, am liebsten allein und immer gleich von allem genervt. Mein Leben macht mich nicht glücklich, so wie es grade ist. Ich habe das Gefühl, ich reibe mich für Dinge auf, die einfach nicht wichtig sind. Und ein Fokus auf wichtigere Dinge mich zufriedener machen würde. Und was ist wichtiger als die Familie? Richtig. Gar nichts.

Auch wenn ich weiß, dass mit Kindern natürlich nichts perfekt ist. Vieles anstrengender. Und Manches vielleicht vorübergehend gar nicht möglich. Wenn ich das knapp ein Jahr alte Baby meiner Nachbarn im Home Office durch die Wand kreischen höre – und zwar permanent – ertappe ich mich schon auch mal bei einem inneren Augenrollen und der Frage, wie man sowas eigentlich den ganzen Tag erträgt. Vor allem, wenn die Nacht schon um 4.37 Uhr zu Ende war.

Antwort meiner Nachbarin: Kind nach Feierabend ne Runde mit dem Papa spazieren schicken und dann um 19.00 Uhr mit dem Kind ins Bett fallen. Puh. Will ich das? Kann ich das, ohne mein Kind gedanklich acht Mal am Tag irgendwo abzugeben und einfach nicht mehr abzuholen? Ganz abgesehen davon, dass dieser Papa überhaupt nicht in Sicht ist.

Ich habe aber eine Ahnung, dass man wenigstens weiß, wofür man es macht. Die Vorstellung, dass da ein kleiner Mensch ist, der aussieht wie mein Partner und ich und für den es eine Art von Liebe gibt, die Menschen ohne Kinder nicht kennen können – allein das lässt mich ahnen, dass es das alles wert wäre. Und dem Leben irgendwie mehr Sinn geben würde. Für mich aktuell den einzig wahren.


Kennt ihr solche Gedanken auch? Und was hat euch in dieser Situation weitergebracht? Lasst uns gerne darüber sprechen, hier, auf Facebook, Instagram oder Twitter.

Wenn dir dieser Blogbeitrag gefallen und du noch mehr Geschichten aus meinem Leben als Single lesen möchtest, magst du vielleicht auch diesen: 40, Single, kein Kind- Verzweiflung inklusive. Zumindest manchmal.


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