Grundsätzlich halte ich mich ja für einen relativ modernen Menschen. Modern. Allein das Wort entlarvt mich doch schon als jemanden Ü40, oder? Das hätte ich früher niemals benutzt. Aber je älter man wird, desto mehr verschwimmen die Grenzen zwischen dem, „was man heute so sagt“ und „oh Gott, ich sag lieber nix, sonst bin ich die peinliche alte Spießer-Frau.“

Früher war ich da total klar. Am Puls der Zeit, hipper als hip (wobei man „hip“ in den 90ern irgendwie nicht gesagt hat. Was hat man denn da gesagt? Verdammt!), immer up to date (und wo gehört das jetzt hin? Hilfe!).

Mein Vater sagt immer „Umgib dich mit jungen Menschen, das hält dich selbst auch jung.“ Das trifft sowohl für ihn zu (keiner erklärt mir zuverlässiger, wer grade bei „The Voice of Germany“ die Sing-Offs bestanden hat) als auch irgendwie für mich. Als ich bis vor einigen Jahren in einem Team gearbeitet habe, in dem der meistvertretene Jahrgang 1991 war, war das relativ einfach.

Jeden Tag wurde ich mit den aktuellen Instahypes („Kennsch net Salt Bae??“) und Musik versorgt, die auch für mich als tauglich eingestuft wurde („Das neue Justin Bieber Album klingt voll nach 90er, hör dir das mal an!“). Und sicher spielte mir da auch sehr in die Karten, dass die 90er wieder so angesagt sind und man für die jungen Kollegen einfach „der Shit“ ist, wenn man als Augenzeuge aus diesem längst vergangenen Jahrzehnt erzählen kann. So wie früher der Opa vom Krieg.

Frau mit Handy telefoniert über Lautsprecher. Achtung, Spießer-Alarm!
Achtung, Spießermeinung: Warum man in der Öffentlichkeit über Lautsprecher telefonieren muss, erschließt sich mir nicht so wirklich.

Aber bei manchen Dingen und Themen steig ich einfach aus. Und schüttle ungläubig den Kopf, genau wie die alten Menschen, über die ich mit 16 sagte, dass ich niemals so werden würde. Zu den Top Dingen, die mir zeigen, dass ich doch unverkennbar über 40 bin, gehören zweifelsohne:

1. „Jugendsprache“

Da bin ich wie gesagt so raus, dass ich nicht mal Beispiele bringen kann. Ah doch, AMK muss ich jedes Mal wieder googeln. Genauso wie cringe. Letzteres kenne ich aber auch nur aus den Medien und da fragt man sich ja, ob das Wort überhaupt von Menschen unter 20 benutzt wird. Ich erinnere mich dunkel, dass ich früher schon die Wörter, die zum „Jugendwort des Jahres“ gekürt wurden, einfach noch nie von irgendjemandem gehört hatte. Da bleib ich doch solide bei „cool“ und „geil“ und sag zu „Club“ noch „Disco“. Und oute mich damit vermutlich als kurz vor der Rente stehend. Keine Ahnung.

2. Mit dem Handy über Lautsprecher telefonieren

Das werde ich tatsächlich nie verstehen. Inklusive dieser dümmlichen angewinkelten Hand-Arm-Komposition, mit der man sich das Telefon wie einen Spucknapf vor die Luke hält. Und nein, Elfie-Chantal, niemand interessiert sich dafür, ob Horst-Kevin ne neue Ische am Start hat. Also geh mir aus den Augen, äh Ohren, mit deiner Mom-Jeans, deinem bauchfreien Top und deinem Lidstrich bis zum Ohrläppchen. Merci vielmal.

3. Musik

Und das schmerzt mich wirklich, denn Musik hat immer eine große Rolle in meinem Leben gespielt. Ich erinnere mich noch genau an die Worte einer Freundin, die damals sagte „Ich will nie so werden wie meine Mutter. Die weiß nicht, wer welches Lied singt.“ Naja, was soll ich sagen: Welcome to my life.

Einerseits ist es wohl dem Umstand geschuldet, dass man als Mensch mit einem geregelten Arbeitsalltag einfach nicht mehr vom Ende der Hausaufgaben bis in die Abendstunden vor Viva und MTV hängen kann, wo die aktuellen Songs rauf und runter laufen, fein säuberlich versehen mit Interpret und Album. Am besten noch vermittelt durch „Neu bei Viva“, um keine Videopremiere zu verpassen, damit man damit angeben kann, die erste im Universum gewesen zu sein, die das Video zu einem vor drei Minuten veröffentlichten Song gesehen hat.

Auf der anderen: Viva gibt’s nicht mehr, auf MTV läuft nur noch Catfish und wer schaut sich denn überhaupt noch Musikfernsehen an? Da frag ich mich: Woher kommt denn der ganze Input für die neue Generation? Müsste ich jetzt – anstatt mich berieseln zu lassen – aktiv auf You Tube rumsuchen? Ich wüsste nicht mal, wie ich an aktuelle Informationen kommen sollte. Von der Bravo kriegt man ja auch nur noch Augenkrebs. Und das schnellste Medium waren die schon 1998 nicht mehr.

Tanzen war immer eine meiner Leidenschaften. Heute kann ich mir kaum noch Schrittfolgen merken. Traurig aber wahr.

Ok, ich höre Radio. Morgens im Bad und manchmal im Auto. Was ja an sich schon Panne und was für alte Leute ist, zumal damals wie heute die Songs dort schon uuuuralt (also so 2 Monate) sind, bis man sie regelmäßig zu hören bekommt. Zumindest kann ich schlussfolgern, dass ein Song, der mindestens jede Stunde ein Mal zu hören ist, Platz 1 der Charts sein muss. Das war’s dann aber auch. Und wie er heißt und von wem er ist, weiß ich dann meistens noch immer nicht. Ein Trauerspiel.

Manchmal schmeiß ich heimlich Shazam an, um dann festzustellen, dass der Song doch schon drei Jahre alt ist. Ach der ist das. Aber mehr Energie will man da mit 40 irgendwie auch nicht mehr reininvestieren.

Apropos Energie:

4. Choreographien

Ich habe immer gern getanzt. Ballett, Jazzdance, Hip Hop. Jasmin und ich haben uns als Teenies oft Choreos selbst ausgedacht. Bei meinem Abiball habe ich fünf Jungs aus meinem Jahrgang genötigt, zwei Backstreet Boys Routines vorzutanzen. Und heute? Steig ich bei den ganzen Tik Tok Tänzern komplett aus, weil das Spiegelverkehrte mich dermaßen verwirrt, dass mir nach dreieinhalb Minuten der Kopf schwirrt und ich mich erstmal hinsetzen muss.

Ich kann’s mir weder merken noch sieht es besonders gut aus. Wann zur Hölle ist die ganze Welt zu Profitänzern geworden und hat mich abgehängt??? Dabei wollte ich seit Jahren wieder damit anfangen. Da aber selbst Jerusalema komplett an mir vorübergegangen ist, lass ich es wohl lieber. Und tanze lieber bei der nächsten Party wieder den Freestyle, vor fragenden Gesichtern der anderen Gäste U30 und Ü60. Das ist nämlich das Schicksal meiner Generation. Und das ist schön.

Irgendwie erschreckend, dass man trotz aller guten Vorsätze altert. Und Rechnungen bezahlen, Jobsuche und Kinder großziehen die Priorität von Albumreleases und perfekten Tanzroutinen verblassen lassen.

Ich schätze, das ist das Leben. Aber vielleicht ist es genau so eingerichtet, dass Dinge wie diese ein Teil einer Zeit bleiben, auf die man dann ein bisschen wehmütig zurückschauen kann. Und immer etwas Besonderes bleiben, wenn man sich doch mal ab und zu die Zeit dafür nehmen kann.


Woran merkt ihr, dass ihr „alt“ werdet? Und findet ihr das gut so? Oder eher schade?

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Eine Antwort zu „Spießer-Alarm: Woran ich merke, dass ich mit 40 doch irgendwie so alt bin, wie ich nie werden wollte.”.

  1. […] Vielleicht gefällt dir auch dieser Artikel: Spießer-Alarm: Woran ich merke, dass ich mit 40 doch irgendwie so alt bin, wie ich nie werden wollt… […]

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