
Es geht wieder los. Wieder einmal zwinge ich mich zum Online-Dating in Tinderland. Ekelhaft. Aber neulich, als ich mal wieder über mein verpasstes Jahr 2020 lamentierte, sagte mir jemand etwas, das mir auf Anhieb einleuchtete: Im Moment ist Online-Dating mit der einzige Ort, an dem man jemanden kennenlernen kann. Jetzt treiben sich höchstwahrscheinlich aus Verzweiflung auch die dort rum, die das sonst nicht tun. Macht irgendwie Sinn.
Und als ich vor ein paar Tagen noch in einem Single-Newsletter las, dass sich zwischen Weihnachten und 14. Februar statistisch gesehen die meisten Paare trennen – weil man sich den Jahreswechsel nicht versauen wollte und dann am Valentinstag irgendwie wieder dran erinnert wird. Oh ja stimmt, da war ja was. Ich wollte meinen Typen vor die Tür setzen. – dachte ich mir: Dann schau ich halt mal wieder rein.
Tatsächlich meldete ich mich neben Tinder auch wieder bei einer Plattform an, bei der ich vor einigen Jahren schon einmal unterwegs gewesen war und die mir auch halbwegs ok erschien. Und nichts kostete. Leider stellte ich aber fest, dass sich dort einiges geändert hat und man ohne Cash quasi gar nichts mehr machen kann. Nicht mal Nachrichten schreiben. Komplett sinnlos. Und ein weiteres Mal wird aus der Not der verzweifelten Menschen Kapital geschlagen. Kranken, Leuten mit unerfülltem Kinderwunsch und – genau: Singles.
Mein Kurztrip nach Tinderland: Wie immer eine Vollkatastrophe.
Mit einem leichten Würgegefühl swipte ich mich also doch wieder durch Tinder. Same same. Die gleiche Resterampe von Nerds, Notgeilen und Verzweifelten. Und ich mitten drin. Happy Birthday. Wo sind denn jetzt die angepriesenen „Guten“, die bisher vergeben waren und sich angeblich kurz vor dem Valentinstag getrennt haben? So alle 30 bis 40 Swipes ist dann mal einer dabei, der halbwegs geht.
Wobei ich dazu sagen muss: Manchmal, wenn dann nach einigen Tagen ein Match zustande kommt und ich mir die jeweiligen Typen nochmal anschaue, frage ich mich nicht selten, in welch geistiger Umnachtung ich da denn nach rechts gewischt habe. Meine Swipefrequenz ist offenbar auch sehr tagesformabhängig. Ob das allerdings Verzweiflung, mal nicht so ganz große Skepsis oder einfach das Fehlen meiner Lesebrille bedingt, habe ich noch nicht rausgefunden.
Die neue Tugend: Ungeduld.
Jedenfalls hatte ich letztens wieder ein Match mit einem Typen, den ich optisch ganz ok fand. Ich schreibe ja nie zuerst. Das hat nichts mit irgendwelchen altmodischen Rollen zu tun, sondern ich hab einfach keinen Bock. So wie ich auf dieses ganze Game keinen Bock habe. Ja ok, ich sehe ein, dass das irgendwie nicht grade zielführend ist. Meistens schreibt entweder keiner oder die Herren sind erstmal übermotiviert und schreiben sofort nach dem Match.
Bis sie dann nach den ersten zwei Sätzen und dem üblichen „Woher kommst Du genau?“ nebenbei bemerken – und darauf bin ich auch schon an anderer Stelle eingegangen: „Äh, ich find’s eigentlich voll doof, so viel zu schreiben.“ Ja, und ich find’s voll doof, mich sofort mit jemandem zu treffen, von dem ich überhaupt nichts weiß. Erst recht in Corona Zeiten, in denen es nicht mal einen neutralen Ort mit vielen Menschen gibt.
Wenn man dann höflich anmerkt, dass man erstmal mehr über den anderen erfahren möchte, ist man gleich die komplizierte Zicke. Besagter Typ formulierte es in etwa so: „Ok, Miss J. (MISS J? Ernsthaft? Ich dachte, die Zeiten, in denen ich einen Streetname benutzen musste, um cool zu sein, sind seit den 90ern vorbei?) Ich geb dir jetzt meine Nummer und dann kannst du dich entweder melden, wenn du willst, oder sie löschen. Mir ist das hier zu doof jetzt.“

An dieser Stelle frage ich mich gewöhnlich das erste Mal, ob ich jetzt die mit der Macke bin oder Prince Not-so-Charming. Lernt man sich nicht erstmal zumindest ein kleines bisschen kennen, bevor man entscheidet, ob man diese fürchterliche Situation in Kauf nimmt, sich mit jemandem zu verabreden, den man nicht kennt? Gut, vermutlich bin ich einfach nicht routiniert genug darin. Wenn man sowas natürlich jede Woche macht, stumpft man vielleicht ab. Die Vorstellung ist trotzdem irgendwie keine adäquate Alternative für mich.
Also zeige ich meinen guten Willen, speichere seine Nummer ab und schreibe kurz „Hallo“, damit er es auch mitbekommt. Für eine halbe Minute scheint er überrascht und erstmal zufriedengestellt. Bis es wieder um‘s Treffen geht. Um wenigstens noch etwas Zeit zu gewinnen, täusche ich eine komplett ausgebuchte Woche vor und vertröste ihn somit um weitere sieben bis zehn Tage. Vielleicht kann ich bis dahin einschätzen, ob er ein Krimineller oder einfach nur sehr verzweifelt oder ungeschickt ist. Und nehme mir aber fest vor, ihn dann auch tatsächlich zu treffen. Denn irgendwann wird es ja in der Tat dämlich, sich weiter zu winden.
Trotzdem halte ich mich mit Nachrichten zurück, er findet schreiben ja schließlich doof. Und in einer Sache stimme ich ihm dabei sogar zu: Alles schon per Text abzufragen, kann dazu führen, dass man – sollte dann doch ein Treffen zustande kommen – sich dann persönlich nichts mehr zu sagen hat und lange, peinliche Sprechpausen entstehen.

Nach etwa zwei Tagen losem „Was steht bei dir heute an?“ und „Nicht viel. Und bei dir?“, gerade so viel, dass man den Kontakt nicht verliert und nicht wieder an dem Punkt „Boah, das Geschreibe nervt mich so! Treffen! Jetzt!“ ankommt, erhalte ich aus heiterem Himmel abends folgende Nachricht: „Das wäre doch heute der perfekte Kuschelabend. Kuss-Emoji.“ Äh. What? Bin ich kurz eingenickt oder was ist mit dem unwesentlichen Teil zwischen „Hallo, wo wohnst du?“ und „Ich würd jetzt gerne fummelnd mit dir auf dem Sofa liegen.“ passiert?
Und schon finde ich mich in einem Goodbye Deutschland-Szenario wieder.
Was bitte ist los mit euch, Männer? Kann man sich nicht mehr zwanglos kennenlernen? Müsst ihr das Klischee erfüllen, bei Tinder ein paar Bilder gesehen zu haben und noch bevor es irgendeinen persönlichen Kontakt gegeben hat, für euch allein beschließen, dass sie Sache schon geritzt ist? Nennt mich seltsam, aber irgendwie erinnert mich das stark an MTV Catfish oder Goodbye Deutschland, wo Leute online jemanden „kennengelernt“ haben, sich einbilden, ein Jahr lang eine „Beziehung“ mit dieser Person zu führen ohne ihn je gesehen zu haben, um dann festzustellen, dass sich hinter den geklauten Instagrambildern ein Freak verbirgt, der ihnen die ganze Zeit was vorgespielt hat. Am besten bei der schon organisierten Hochzeit.

Und dann die beleidigte Leberwurst spielen, wenn man nicht genau so euphorisch Kuss-Smileys zurückschickt und stattdessen augenzwinkernd drauf verweist, dass man vielleicht erstmal noch einen Gang zurückschalten sollte. „Ich hoffe, du bist in echt nicht so ein Eisblock. Denk mal drüber nach.“ Und diesen Satz dann auch gerne bei jeglicher folgender Konversation, die eigentlich ganz gut zu laufen scheint, immer mal wieder völlig aus dem Zusammenhang gerissen einstreut. So dass man einfach schon gar keinen Bock mehr hat, weil man ständig das Gefühl hat, man hätte was bei jemandem gut zu machen, den man noch nicht ein Mal gesehen hat. Himmelnochmal.
Ja, es stimmt. Ich bin sehr zurückhaltend und skeptisch, was Treffen mit fremden Menschen angeht. Und ich verstehe, wenn man irgendwann keine Lust mehr hat zu warten. Aber ist so ein Verhalten nicht total befremdlich? Verzweifelt? Bedrängend? Vielleicht ist diese Welt wirklich nichts für mich und ich bin der Freak in dieser Show. Da bin ich ja wirklich auch selbstkritisch. Aber ich finde es einfach so fürchterlich.
Was sagt ihr? Nur Freaks unterwegs? Oder bin ich einfach unflexibel? Und wie geht ihr damit um, grade nirgendwo neue Leute treffen zu können? Erzählt mal. Hier, auf Facebook, Instagram oder Twitter.
Noch mehr Gedanken zum meinem „Lieblingsthema“ Tinder findet ihr hier: