Buntes Bild mit Text halte die 80er am Leben

Neues Jahr, neuer Lockdown. Aber dieser ist ja auch nur eine Fortführung desjenigen aus dem Dezember. Und zwischen Weihnachten und Neujahr bleibt sowieso die Zeit irgendwie stehen und man weiß nicht, welcher Wochentag, geschweige denn welches Jahr ist. Wenn nicht jetzt, wann dann ist der perfekte Zeitpunkt, um sich dem nostalgischen 80er Bingewatching hinzugeben?

ZDFneo möchte offenbar sowieso, dass ich heute nicht mehr vom Fernseher wegkomme. Und auch für die nächsten zwei Wochen nicht. Ein Blick ins Programm bestätigt es mir: Sämtliche Familien- und Weihnachtsserien aus meiner Kindheit Anfang und Mitte der 80er Jahre werden quasi am Stück gezeigt. Anna, Nesthäkchen, Ich heirate eine Familie, Die Schwarzwaldklinik. Ohne Werbung. Wie jedes Jahr. Und Traditionen soll man nicht brechen, schon gar nicht in einem Jahr wie 2020. Tja, da muss ich mich wohl dem Schicksal fügen.

Die Schumanns: Emanzipation im Versuchsstadium.

Starten wir doch, programmkonform, mit den Schumanns. Wir erinnern uns: Ein zweifach geschiedener Endvierziger mit riesigem Haus und Porsche (offenbar waren Grafiker in den frühen 80ern noch Großverdiener. LOL. Rückblickend Science Fiction at its best.) heiratet vermutliche Enddreißigerin (die aber aus heutiger Sicht selbstverständlich schon extrem muttimäßig-spießig aussieht, wie in diesen Jahrzehnten so üblich) mit drei Kindern. Eins davon fast volljährig, was damals in diesem Alter normal war, wir erinnern uns dunkel.

Sie, frisch geschieden, weil der Ex ein notorischer Fremdgeher war, hat trotz Kindern ihre eigene Boutique, was uns ja fast schon futuristisch fortschrittlich vorkommt. Während er eine Haushälterin beschäftigt, weil er unfähig ist, sich selbst ein Brot zu schmieren und sein Bett zu machen. So richtig ausgereift waren die emanzipierten Ideen in dieser Zeit also noch nicht. Aber man bemühte sich.

Ganz beiläufig wird die kompletten Staffeln hindurch munter fremdgegangen, oder zumindest die Vermutung dazu angestellt oder darüber gesprochen. Als gehöre das einfach dazu. Vor allem von Freund AlfoNGs. Und irgendwie schwingt bei diesen alten Serien immer eine moralisch-sexuelle Unbekümmertheit mit. Oder geht das nur mir so? Man wartet fast darauf, dass AlfoNGs sich irgendwann auch an die 17jährige Tochter ranschmeißt und keiner sich drüber wundert.

Nackte Babys, Kippe im Kinderzimmer. So war das halt damals.

Überhaupt entdeckt man hier und da Szenen, die heute undenkbar wären. Da wird das Kind sichtbar nackt gebadet und anschließend beugt sich Muttis Freundin Bille ganz selbstverständlich mich brennender Kippe über das schlafende Baby in der Wiege. Auch ohne übermäßig strengen moralischen Kompass kommt einem das aus heutiger Sicht irgendwie befremdlich vor. Sind wir heute spießiger oder war man früher einfach nicht ganz dicht?

Und Papa Werner kommt mir doch auch irgendwie bekannt…ach ja, Moment. Das ist doch des Kaiser Franz Josephs jüngerer Bruder Karl-Ludwig aus „Sissi“! Da hab ich mir doch am 2. Weihnachtsfeiertag erst Teil 1 bis 3 reingezogen. Ganz traditionell. So schließt sich der Kreis. Vor allem, wenn man bedenkt, dass eigentlich Harald Juhnke die Familienvater-Rolle übernehmen sollte. Da kam ihm aber wohl seine Vorliebe für hochprozentige Getränke in die Quere. Tja, man muss Prioritäten setzen. Stattdessen erfreue ich mich an Dialogen wie „Heute sind schon 12 Telegramme gekommen. 8 davon mit Schmuckblatt!“ oder „Hi Fans, gibt’s hier Action?“ Ja ja, die fetzigen 80er…

Und weiter geht’s. Mit der Schwarzwaldklinik. Auch hier wird munterer Partnertausch betrieben. Schwester Christa fällt erst auf den Schürzenjäger-Sohn und Golf Cabrio-Besitzer Doktor Udo, kurz darauf auf seinen etwas betagteren Vater Professor Klaus Brinkmann rein. Selbstverständlich wird nach drei Folgen geheiratet und auch ein Kind wird grade noch so vor die Menopause gequetscht. Wäre ja sonst langweilig. Karriere macht die Schwester auch noch, denn schließlich hat sie mal sechs Semester Medizin studiert, sodass sie innerhalb von zwei Folgen das Reststudium absolviert und als Frau Doktor an die Klinik zurückkehrt.

Dr. Udo Brinkmann: Der Arzt, dem die Frauen vertrauen.

Zuhause beim Kind ist sie aber quasi nie, weil sie ob ihrer analytischen Fähigkeiten an die Uni Konstanz beordert wird – natürlich völlig selbstlos von Professor Vollmers, der schon eine ganze Weile scharf auf sie ist. Und am Ende leider das Kindermädchen nehmen muss. Denn Doktor Christa bleibt, trotz mehrfacher Annäherungsversuche und diverser Flirts und eines Seitensprungs ihres Mannes, im „Hüsli“ wohnen.

Unvergessen: Udo und das Golf I Cabriolet. Immer Vollgas im Rückwärtsgang. Von der Kindheit bis heute meine heimliche Liebe. Das Auto. Und er.

Während ich mich noch darüber wundere, wie Doktor Udo plötzlich vom Weiberhelden zum braven Ehemann mutiert und trotzdem gefühlt jede vierte Folge eine Frau verschleißt – weil sie entweder sterben oder sich scheiden lassen oder beides – und dass im Schwarzwald der 80er Jahre offenbar immer Sommer ist, merke ich, wie ich – trotz meiner vernichtenden Analyse der völlig stümperhaften und aus heutiger Sicht komplett realitätsfernen Umsetzung dieser Serie – so langsam in das wohlige Gefühl meiner unbesorgten Kindheit eintauche. Fast wie mit meiner 90er Musik, nur noch viel behüteter. Auch wenn ich mich manchmal frage, wie viele Outtakes es wohl geben mag, in denen der junge Doktor über die Beifahrertür gestolpert ist, beim Yuppie- Sprung ins Cabriolet.

Und mir fällt ein, dass sich ein Nachmittag gefüllt mit 80er Moderne, die uns heute nur mild lächeln lässt, damals über mehrere Wochen hinzog. Weil es eben nur eine Folge pro Woche für uns gab. Samstags, um 19.25 Uhr. Frisch gebadet, im Schlafanzug und grade vom Nachmittagsbesuch bei Oma heimgekehrt. Da dehnt sich Ehe Nr. 2 des Doktor Udo doch glatt auf 3 Monate aus. Die Staffelpausen noch nicht eingerechnet.

Und trotzdem vermisst man’s irgendwie.

Das waren noch Zeiten. In denen man sich draußen beschäftigen musste, bis die Lieblingsserie im TV lief. Und auch wenn die beige gekachelten OP Räume mit farblich passenden Beatmungsgeräten und Metzgerei-Charme mich ein Dankesgebet gen Himmel schicken lassen, dass ich im Jetzt und Hier bin, beschleicht mich vor allem eins: Die Sehnsucht nach einer Zeit, in der das Leben einfach noch ein bisschen langsamer war.

Und auch wenn es schon immer der Job alter Menschen war, die „gute alte Zeit“ zu beschwören und ich nie so werden wollte: Ich finde, es gibt tatsächlich eine große Zäsur zwischen Vor und Nach von Internet und Handy. Ja, es ist ausgelutscht und tausend Mal gehört und auch ein bisschen konservativ, aber ich glaube, dieses Gefühl können wirklich nur diejenigen nachvollziehen, die Anfang der 80er oder früher geboren wurden.

Leider – oder auch zum Glück – lässt sich die Zeit nicht zurückdrehen. Aber es gibt zumindest die Möglichkeit, sich die recht junge Form des Bingewatchings zu Nutze zu machen und wenigstens für eine Weile wieder das Gefühl der 80er zu haben. Mir schwarzen Balken rechts und links im Bildschirm, den Brink- und den Schumanns. Und einer Wagenladung voll Erinnerungen. Zwischen Weihnachten und Neujahr.

Ich freue mich schon auf’s nächste Mal. Und auf Doktor Udo. Ja, ich geb’s zu. Ich bin, war und werde immer ein bisschen verliebt in ihn sein.


Zieht ihr euch auch gerne mal gedanklich in Zeiten zurück, in denen das Leben irgendwie noch einfacher war? Oder ist das für euch überholter Quatsch von gestern? Erzählt doch mal. Hier, auf Facebook, Instagram oder Twitter.

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2 Antworten zu „Ich heirate eine Familie – Warum ich Serien aus den 80ern zwischen Nostalgie und Grauen liebe.”.

  1. Avatar von Suse

    Ich mag das auch wegen #Nostalgie. Aber manchmal muß ich 1,5 fache Geschwindigkeit schauen.

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    1. Avatar von Jenny

      Ahh, ich grade nicht :D. Aber ok, du hast Kinder, da muss man das wahrscheinlich ab und zu 😄

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