Eins vorweg: Ich bin noch immer ein Beziehungsmensch, der gerne eine Familie möchte. Das steht außer Frage. Über die ganzen langen, verzweifelten Jahre als Single mit Minderwertigkeitsgefühlen, den immer wiederkehrenden blöden Fragen – die dann mit zunehmendem Alter plötzlich ausbleiben – den Vergleichen, den Ängsten, den dummen Kommentaren von Leuten mit Partnern und Kindern zu meiner Situation, meiner Freizeitgestaltung, meinem sicher grenzenlosen Egoismus – kann ja gar nicht anders sein – und mit meinem immer größer werdenden Erfahrungsschatz, gepaart mit guter Beobachtungsgabe, bin ich in der letzten Zeit aber zu einem ganz anderen Schluss gekommen.

Ja, ihr Langzeitvergebenen, ihr Eltern mit Augenringen und Endzeitstimmung im Gesicht, ihr habt Recht: Ich habe eigentlich ein ganz schön geiles Leben. Und ihr habt allen Grund, so richtig neidisch darauf zu sein.

Neid auf die angenehmen Seiten meines Lebens – durchaus verständlich.

Ich kann die meisten Nächte durch- und am Wochenende ausschlafen. Das ist besonders wichtig, denn als Single darf man sich ja auch nicht gehen lassen und muss selbst mit 40 noch richtig frisch aussehen. Denn sollte sich doch mal einer in unseren Dunstkreis verirren, der in diesem hohen Alter Single, womöglich noch gutaussehend und nicht reif für die Irrenanstalt ist, muss man schließlich vorbereitet sein.

Ich kann meine gesamte Freizeit mit Arbeit verbringen. Denn zuhause wartet ja keiner. Oder ich kann sie mit der ständigen Optimierung meines Äußeren füllen. Sei es durch Make-Up, Klamottenshopping oder gar kleine Schönheitseingriffe. Geld genug habe ich ja auch, denn ich arbeite ständig und so ein SINK (Single Income No Kids) bringt einen schon so knapp unter den Millionärsstatus, besonders als Frau. Das muss man schon mal ganz deutlich sagen.

Aber mal Scherz beiseite. Mich spontan verabreden zu können, ohne auf Kinderschlafenszeiten achten und andere Leute mit Babysitterdiensten belästigen zu müssen, damit ich noch ein eigenes Leben habe – das hat schon was. Netflix & Chill am Sonntag, ganz allein, mit 73 Folgen True Crime Dokus am Stück, bis meine Augen viereckig sind, ohne auf jemanden Rücksicht nehmen zu müssen „der grade beim Sport ist“ und dann das Rumpelstilzchen macht, weil er mitgucken wollte oder der rumnörgelt, weil ich zum achten Mal die kompletten 7 Staffeln Gilmore Girls binge, mit einem riesen fetten Teller mit frittiertem Käse und Sour Cream zum Dippen auf dem Schoß – welcome to my perfect life.

Keiner, der an meiner Figur rummotzt, an meinen Kochkünsten, an meinen immerwährenden Ausreden, wenn es ums Fitness Studio geht, oder weil ich schon wieder länger im Büro bleiben musste – herrlich. Es gibt keine Diskussionen über Berge oder Meer, Ski oder Snowboard, Trump oder Biden, Corona oder Grundrechtsverletzungen. Und ich muss mir nicht um noch mehr Menschen Sorgen machen. Ob sie heil aus der Schule nach Hause kommen. Oder mich grade mit der Nachbarin bescheißen.

Beziehungs- und Erziehungsstress? Negativ.

Ob die neue, 25jährige Kollegin wohl anziehender ist als ich. Und ob unser Leben noch spannend genug ist, mit all den Unwegbarkeiten und kleinen Alltagstoden, die jede Beziehung irgendwie immer etwas poröser machen.

Ich kann fluchen, wann ich will, ohne mich dauernd umsehen zu müssen, ob nicht mein Kind hinter mir steht. Ich muss für keinen ein direktes Vorbild sein und kann mich darüber freuen, wenn es doch so ist. Ich muss mir neben meinen eigenen Selbstzweifeln keine Gedanken darüber machen, ob meine Erziehungsmethoden richtig sind oder ob ich mit meinen psychologischen Totalausfällen gerade einen zukünftigen Serienmörder heranzüchte.

Ja, mein Leben ist im Grunde verdammt gut. Und ich finde es schade, dass ich lange Jahre nicht in der Lage war, das zu sehen. Und mich stattdessen, von Neid geplagt, in Selbstmitleid zu wälzen und mich zu fragen, was ich eigentlich falsch mache. Ja, genau das. Das Leben nicht so anzunehmen, wie es nun mal momentan ist und das Beste daraus zu machen. Das Allerbeste. Denn vieles davon kommt einem offenbar mit Partner und Familie irgendwann abhanden.

Eine Sache konnte ich aber schon immer ganz gut: Meinen Neid erkennen und auch unverblümt formulieren. Und ich bin davon überzeugt, dass das der Schlüssel zu vielen Missverständnissen und Konflikten zwischen Kinderlosen und Leuten mit Kindern sein könnte, wäre das gesellschaftlich anerkannter.

Tja, sorry, dass ich noch Zeit für Haare-Make Up-Nägel hatte heute Morgen. Trotzdem kein Grund, mich vom Nebentisch aus mit Blicken zu töten.

Anstatt im Café mit hasserfülltem Bitchface zum Single am Nebentisch zu schielen, der heute Morgen eben leider Zeit hatte, sich ordentlich anzuziehen und zu kämmen – und womöglich auch noch die neue It-Bag neben sich stehen hat, auf die Muddi schon länger ein Auge geworfen hat, deren Budget aber leider für den Kinderwagen draufgegangen ist – und der offenbar Spaß hat mit seinem Heißgetränk in der Hand, während der eigene Junior sein Quetschi grade über den ganzen Tisch und in Mamas Kaffee verteilt hat, könnte man sich doch auch einfach mal für den anderen freuen.

Natürlich. Nicht immer erfüllt mich umgekehrt der Anblick von jungen Familien mit grenzenloser Freude. Aber grundsätzlich huscht mir doch eher ein Lächeln über die Lippen, wenn ich peinliche Kinderfragen höre, die der Papa verzweifelt versucht zu beantworten. Leide ich mit, wenn die Mama die Sauerei vom Kaffeetisch wischt und versucht, den schreienden Quälgeist irgendwie ruhig zu bekommen, in der Hoffnung, nicht zu sehr unangenehm aufzufallen.

Mit einer Gefühlsmischung aus „oh je, die Arme, keine Ahnung, wie ich das hinkriegen würde“ und „eigentlich würde ich gerne an ihrer Stelle sein“. Und trotzdem ist der Vorgang, mir bewusst einzugestehen, dass ich sie im Grunde beneide, auch wenn das quäkende Kind mich grade nervt, zu einem festen Ritual geworden. Und ich kann das auch aussprechen. Und es ist wirklich befreiend.

Neid ist total ok. Man muss nur fähig sein, ihn zuzugeben.

Deswegen, liebe MOMsters, sprecht mir nach: „Ich bin neidisch.“ So einfach. Und offenbar doch so schwer über die Lippen zu bekommen. Denn ausgedrückt wird es ja trotzdem. In Form von Blicken, gehässigen Bemerkungen über mein einfaches Leben, der Beschneidung meiner Freiheiten, sobald ich mit eurem Leben in Berührung komme – denn schließlich bin ich ja immerwährend flexibel und eure Kinder bestimmen jetzt nicht nur eure, sondern auch meine Zeiteinteilung –, durch die ungefragte Zuteilung von Aufgaben, weil ich immer Kapazitäten frei habe, im Gegensatz zu euch. Es geht auch anders.

Die allerschönste Art, auf die eine Freundin mir einmal gezeigt hat, wie sehr sie Dinge aus ihrem Leben ohne Kinder vermisst: Wir waren zusammen ein paar Tage nach Wien geflogen. Am letzten Abend bat sie mich beim Betreten eines Restaurants darum, nicht wie die Tage zuvor dort am Tisch zu essen, sondern das Bestellte mitzunehmen, damit wir alles im Hotelzimmer auf dem Bett vor dem Fernseher essen konnten. Das hatte sie seit Jahren nicht getan.

Pizza im Bett. Für mich total normal, für Mütter unter Umständen der heilige Gral. Verständlicherweise.

Für mich war das nichts Ungewöhnliches, aber als ich ihre leuchtenden Augen gesehen habe und wie eine so vermeintlich einfache Sache für sie ein kleines Glück bedeutet, habe ich zwei Dinge verstanden: Dass man für ein Leben mit Familie auch einiges aufgibt, das vorher selbstverständlich war. Und dass man mit Hilfe einer Singlefreundin wieder ein bisschen daran teilhaben kann. Zumindest temporär. Ohne Reue oder einen Funken Gehässigkeit oder Überheblichkeit mir gegenüber und stattdessen mit einer großen Wertschätzung solcher Freiheiten, die einfach nur seltener geworden sind. Um dann trotzdem wieder mit Vorfreude nach Hause zur Familie zurückzukehren.

Ein offenes Zugeben von Schwäche, von Verwundbarkeit in solchen Momenten, das wäre so wichtig. Und ist so verpönt. Das finde ich sehr schade. Denn nur so käme ein konstruktiver Dialog zustande. Der die Gräben zwischen Kinderlosen und MOMsters vielleicht etwas kleiner machen könnte.


Könnt ihr dem Singleleben ebenfalls gute Seiten abgewinnen, vielleicht trotz aktueller Einsamkeit und Kinderwunsch – und zwar ohne unterschwellige Verbitterung? Oder habt ihr Schwierigkeiten damit? Ich freue ich auf eure Kommentare, hier, auf Facebook, Instagram oder Twitter.

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