Damals, in meiner Jugend. Das war ein Leben. Ich saß mit Freunden nächtelang, Resident Evil auf der Playstation (1!) zockend, in Zigarettenrauch verhangenen Zimmern oder vertrieb mir die Nachmittage auf dem Basketballplatz unserer Schule. Ohne Handy, aber mit CD-Player, stundenlang rumsitzend und Süßkram futternd, warteten wir auf genau nichts. Wir ließen uns treiben, warfen ein paar Körbe, diskutierten über Musik und irgendwelchen Kram, der uns damals als wichtig erschien.

Berauscht von einer jugendlichen Leichtigkeit und vielleicht dem ein oder anderen alkoholischen Getränk, tanzte ich an den Wochenenden bis in die frühen Morgenstunden. Damals verschwendete ich keinen Gedanken daran, wie es später einmal sein würde. Ob ich verheiratet sein und Kinder haben würde. Oder ob der Job, für den ich mich einmal entscheide, mich glücklich macht. Das Leben war geprägt von spontanen Entscheidungen und dem Gefühl, für alles noch unglaublich viel Zeit zu haben.
Die Zeit zurückdrehen funktioniert nur bei der Zeitumstellung
Wenn ich heute daran zurückdenke, wünsche ich mir manchmal, ich könnte dieses Gefühl wieder hochbeschwören. Ein Gefühl, dass man vermutlich nur eine gewisse Zeit im Leben empfinden kann. Denn wenn diese Zeit vorbei ist, fühlt es sich nie wieder genauso an. Man sagt oft: „ich wäre gerne nochmal 20 Jahre jünger, aber mit dem Wissen von heute. Ich glaube, genau das funktioniert nicht. Denn mit dem Wissen, das ich heute als 41-jährige habe, hätte die Zeit meiner Jugend nicht halb so viel Spaß gemacht.
Der erste große Herzschmerz. Der erste Sex. Die erste eigene Wohnung. Der erste Job. Was wären all diese Erfahrungen, wenn mein heutiges ICH auf der Bettkante gesessen hätte, um mir gute Tipps zu geben? Das haben schließlich schon meine Eltern versucht und ich wollte es (zumindest was den Sex angeht) damals auch nicht hören.
Das Leben lief so vor sich hin. Und auch ich hatte irgendwann einen Job, einen Freund, aber immer noch das Gefühl, es bleibt noch so viel Zeit, all das zu tun, was man sich so für sein „späteres Leben“ vorstellt. Bis ich eines Nachmittags einen Anruf bekam, dass mein Vater verstorben sei. Ganz plötzlich und unerwartet. Umgefallen. Tot. Das war das erste Mal in meinem Leben, dass ich merkte, für manche Dinge kann man sich nicht endlos Zeit nehmen. Manchmal ist es dann einfach zu spät.
Da muss doch noch mehr kommen
Ich hatte nie eine Timeline, auf der die zukünftigen Stationen meines Lebens mit einer festen Jahreszahl versehen waren. Aber trotzdem komme ich mit fortschreitendem Alter immer öfter an der Fragestellung vorbei, was ich noch erreichen und erleben möchte.
Dazu muss ich sagen, dass ich auf meinem bisherigen Weg unglaubliches Glück hatte, ganz wundervolle Menschen zu treffen. Menschen, die meinen Horizont auf so wunderbare Weise erweitert haben und mir neue Sichtweisen auf Dinge gezeigt haben. Die mir neue Impulse gegeben haben. Klingt jetzt ein bisschen nach einer Sekte, wenn ich es selbst so lese. Was ich eigentlich damit sagen möchte, ich hatte Menschen um mich, die mich ermutigt haben, Dinge auszuprobieren und Risiken einzugehen

Um es einmal im Friseur-Terminus auszudrücken: Ich bin ein Freund der klaren Schnitte. Wenn mir etwas nicht gut tut, dann schneide ich lieber den ganzen Zopf ab, als drei Mal die Spitzen nachzuschneiden. Als ich mich 2010 nach siebenjähriger Beziehung von meinem damaligen Freund trennte, konnten das viele nicht verstehen. Zwei Jahre zuvor hatten wir ein Haus gekauft. Er sprach von Heirat und Kindern, ich war damals noch ganz weit weg von diesem Thema und sagte ihm immer, dass dafür ja auch noch unglaublich viel Zeit bleibe. Irgendwann im Laufe unserer Beziehung kam der Punkt, an dem ich mir mit diesem Menschen keine gemeinsame Zukunft mehr vorstellen konnte. Unsere Ansichten und Werte waren einfach zu unterschiedlich.
Heute bin ich froh, diesen, wenn auch sehr schwierigen, Schritt gemacht zu haben. Wenn ich mir vorstelle, ich hätte diese Beziehung gegen meine wahren Gefühle und nur auf äußeren Druck hin, weitergeführt, wäre ich heute vermutlich sehr unglücklich.
Und im Nachhinein betrachtet war es die richtige Entscheidung. Es kam ein Mann in mein Leben, mit dem ich jetzt zwei Kinder habe. Wir haben gemeinsam etwas Großartiges aufgebaut, für das ich vorher vieles hinter mir lassen musste. Hätte auch gewaltig in die Hose gehen können. Ist es aber nicht. Glück gehabt, oder Mut, wie man’s nimmt.
Man muss leben wärend man lebt, danach ist es zu spät
Manche Entscheidungen lassen sich herauszögern, aber sie müssen doch irgendwann getroffen werden, wenn man etwas in seinem Leben verändern möchte. Denn irgendwann kommt eben doch die Erkenntnis, dass man Dinge nicht endlos auf später verschieben kann, so wie es sich für mich in meiner Jugend anfühlte.

Das Waldmädchen fragte mich vor ein paar Tagen, als ich sie ins Bett brachte: „Mama, bleiben wir für immer zusammen? Du stirbst doch nicht irgendwann, oder“? Was antwortest du auf so eine Frage? Das gleiche, was mein Vater mir vermutlich als kleines Kind geantwortet hätte. „Natürlich nicht, wir bleiben eine ganz lange Zeit zusammen“. In solchen Momenten wird mir bewusst, wie unglaublich kostbar ein einzelner Augenblick sein kann. Und dass man eine ungenutzte Chance vielleicht sein Leben lang bereut. Innehalten, überlegen, was wirklich wichtig ist. Nicht zu lange warten und einfach mal machen. Das ist nicht immer vernünftig, fühlt sich aber trotzdem meistens verdammt gut an.
Hattest du schon Erlebnisse in deinem Leben, bei denen du im Nachhinein das Gefühl hattest, dir zu lange Zeit gelassen und damit eine Chance verpasst zu haben?
Wenn dir dieser Artikel gefallen hat, dann lies doch mal in Oh Corona – Ich krieg‘ die Krise rein.
Weitere interessante Beiträge zum Thema MOM findest du hier. Besuche uns auch auf Facebook, Instagram und Twitter