Da steht er nun, der Schulranzen des Waldmädchens. Sieben Monate zu früh, aber was man hat, das hat man. Im September wird meine kleine-große Tochter eingeschult und sie kann es kaum erwarten, endlich ein Schulkind zu sein. Ich freue mich über ihre Begeisterung, aber ahne auch, dass sie keine Vorstellung von dem hat, was auf die zukommt.
In den letzten Wochen überkommt mich immer mehr die Wehmut, dass sie nicht mehr in ihren tollen Kindergarten gehen wird. Nicht mehr so frei und unbeschwert spielen und toben kann, wie in den vergangenen drei Jahren. Nicht mehr mit Taschen voll Moos und Steinen nach Hause kommen wird, das Gesicht dreckig von Matsch oder Asche, die sie sich nach dem Essen am Lagerfeuer ins Gesicht geschmiert hat.
Ich weiß, dass viele Mütter das nicht nachvollziehen können. In „normalen“ Kindergärten ist das anders. Aber bei „uns im Wald“, da ist das eben so. Und mein Mutterherz macht jedes Mal einen Sprung, wenn sie mich nach dem Kindergarten mit ihren Matschhänden umarmt und so wunderbar nach Wald riecht.

Sie versteht jetzt noch nicht, welche wunderbare Erfahrung sie in diesem geschützten Umfeld machen durfte. Momentan fühlt es sich irgendwie an, also würde man sie dort entreißen, in eine neue Welt stecken, wo es plötzlich um Noten, Leistung, Beliebtheit geht. Vielleicht wird sie von Mitschülern geärgert, kommt mit den Lehrer/innen nicht klar oder ist schlichtweg mit dem Druck überfordert. Hunderte Gedanken schwirren in meinem Kopf. Versteht mich nicht falsch. Meine Schulzeit war eigentlich ganz ok und ich habe es, mit etwas Sand im Getriebe, sogar bis zum Abi geschafft.
Wie war es eigentlich bei mir?
Meine Grundschulzeit war genaugenommen sogar richtig schön. Ich bin in einem kleinen norddeutschen Dorf groß geworden, in dem jeder jeden kannte. Ob ich Angst vor der Schule hatte oder ob meine Eltern mich ermutigen mussten, diesen neuen Weg alleine zu gehen, das weiß ich nicht mehr so genau. In meiner Erinnerung habe ich die ersten vier Jahre meiner Schulzeit völkerballspielend auf dem Pausenhof verbracht. Auf Klassenarbeiten habe ich nie gelernt, meine Mutter würde heute wahrscheinlich etwas anderes behaupten, aber das ist ja meine Erinnerung. Und die fühlt sich irgendwie gut an.
Nur eine Sache ist nachhaltig hängen geblieben. Meine damalige Klassenlehrerin wollte mich als Linkshänderin „umerziehen“ und zwingen, mit der rechten Hand zu schreiben. Ja, das gab es in den 80ern noch! Als ich das zu Hause erzählt habe, ist mein Vater wutentbrannt in der Schule aufgelaufen und hat die Lehrerin zu Rede gestellt. Seine Tochter schreibt mit links und damit Ende der Diskussion. Ich bin danach nie wieder auf das Thema angesprochen worden. Mein Vater war damals natürlich mein Held.
Das wäre ich auch gerne für meine Tochter, übrigens auch eine Linkshänderin. Ich will nicht unbedingt ihre Heldin sein, aber wenn sie mich braucht, will ich da sein. Dass ich mit dieser Fürsorge vorsichtig umgehen muss, weiß ich, ich will meinem Kind den Weg in die Selbstständigkeit nicht schwerer machen als er eh schon ist.
Sie wird lernen müssen, dass man für manche Dinge hart arbeiten muss, während einem andere Dinge einfach zufliegen. Dass man Niederlagen einstecken und trotzdem weitermachen muss, auch wenn einem manchmal die Lust dazu fehlt. Die Seifenblase aus kindlicher Unbeschwertheit wird zerplatzen. Vielleicht nicht sofort, aber irgendwann wird sie merken, dass die Dinge jetzt anders laufen.

Hänschen klein…
Am liebsten würde ich sie vor all diesen Dingen so lange wie möglich bewahren. Aber mir ist klar, dass ich das nicht kann. Und nicht darf. Ich muss loslassen, sie in diese fremde, neue Welt ziehen lassen. Wie Hänschen klein. Aber nicht so, wie viele immer singen, der kleine Hans, der sich besinnt und zurückkehrt, weil die Mutter so sehr weinet. Denn im Originaltext des Kinderliedes heißt es eigentlich:
Aber Mutter weinet sehr,
Hat ja nun kein Hänschen mehr.
Wünsch dir Glück, sagt ihr Blick,
Komm nur bald zurück!
Genau das ist es. Ich wünsche meinem kleinen Mädchen alles Glück der Welt, aber ich halte sie nicht auf zu gehen. Sie soll ihre eigenen Erfahrungen machen, ohne dass ich schon vorher alle Gefahren hochbeschwöre oder vorwegnehme. Ohne sie ständig beschützen zu wollen oder das Wort für sie zu ergreifen. Soweit der Plan. Ich weiß nicht, wie es sein wird, wenn sie beginnt ihre eigenen Wege zu gehen. Ob ich loslassen und ihr trotzdem das Gefühl vermitteln kann, dass alles in Ordnung ist. Dass sie weiß, sie darf jederzeit zurückkommen, auch wenn sie einen Fehler gemacht hat. In meinem Kopf klingt das alles sehr logisch, aber in meinem Herzen sieht es anders aus.

Lernen loszulassen
Loslassen, das war bisher eine Erfahrung für mich, die mit einem endgültigen Abschied zu tun hatte. Nach einer Trennung oder dem Tod eines Menschen. Jetzt bedeutet loszulassen, jemandem den Weg in seine eigene Zukunft zu ebnen. Und damit gleichzeitig eine Tür zu öffnen, damit derjenige „zurückkehren“ kann. Jedes Mal ein bisschen mutiger, stärker und um eine Erfahrung reicher. Wir werden sehen, ob ich es schaffe. Ein bisschen Zeit bleibt mir ja noch…
Ein emotionales Thema für mich, das mich gerade sehr beschäftigt. Wie geht es dir mit dem „LOSLASSEN“? Erzähl mir von deinen Erfahrungen.
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