
Früher konnte ich Weihnachten eigentlich ganz gut leiden. Meine Eltern und Großeltern haben es immer verstanden, einen magischen Tag aus dem Heiligen Abend zu machen. Da wurde geheimnisgekrämt, es wurden Türen abgeschlossen, weil das Christkind grade die Geschenke vorbeibrachte. Und dann saß man gespannt an Omas Kaffeetisch und rutschte auf seinem Stuhl hin und her, bis endlich das Glöckchen erklang, die 70er Jahre Falttür zum Wohnzimmer aufgeschoben wurde und alle 8 Enkel ihre Geschenke in Empfang nehmen durften.
Schon Wochen vorher hatte es im Treppenhaus nach Holz und Farbe gerochen, weil Opa in seinem Hobbyraum für alle einen Puppenschrank oder ein Holzschaukelpferd gezimmert hatte. Natürlich war – so wurde es uns erzählt – die ganze Zeit über das Christkind anwesend und werkelte mit Opa an den Geschenken. Noch heute zieht es mich manchmal heimlich nach unten in den Keller im Haus meiner Großeltern. Nur dieses einzigartigen Geruchs wegen. Der mich so sehr an Opa erinnert. Und an Adventswochen, die ewig erschienen, bis endlich der Heilige Abend da war.
Und auch später konnte ich die Weihnachtszeit regelrecht zelebrieren. Mit selbstgebackenen Weihnachtsplätzchen, CDs voller amerikanischer Weihnachtslieder, die es mir besonders angetan haben, und dem Einpacken von Geschenken für alle meine Lieben.
Weihnachten? Go away.
Aber irgendwann übernahm ein anderes Gefühl die Kontrolle über mich. Schleichend, aber in jedem Jahr größer werdend. Ich habe immer weniger Lust, die Wohnung festlich zu dekorieren (sehr zum Leidwesen meiner Deko-Queen Mutter), bei Weihnachtsliedern im Radio schalte ich inzwischen um und die ach so friedlichen Weihnachtstage werden doch sowieso meistens von irgendwelchen Streitereien darüber gesprengt, wer von der anwesenden Verwandtschaft bei Oma jetzt das Kaffeegeschirr abspült.
Statt Vorfreude auf die Bescherung starrt man schweigend auf die sich drehende Erzgebirge-Weihnachtspyramide und hofft, dass die Kerzen bald runtergebrannt sind und man nach Hause gehen kann. Weil Tante Elfie mal wieder über ihre Gebrechen lamentiert und Onkel Heinz selbst am lautesten über seine eigenen Witze lacht.
Ich nehme mir inzwischen den ersten Weihnachtsfeiertag frei. Von der Familie. Die wirklich unfassbar groß ist. Und in Etappen bei Oma Kaffee trinkt, weil das sonst ja keiner aushält. Da wird dann gemault, dass die Cousinen, die am ersten Tag bei Oma vorbeischauen, mich ja gar nicht zu Gesicht bekommen. Ja. Pech. Ich sehe Oma am Heiligen Abend und am zweiten Weihnachtstag. Wenn Ihr mich sehen wollt: Kommt da vorbei. Oder an den 363 anderen Tagen, die das Jahr überraschenderweise sonst noch zu bieten hat.
You’re a mean one, Mr.Grinch.

Und dann sitze ich auf meinem Sofa. In Jogginghose und Hoodie und freue mich auf 14 Stunden Disneyfilme-Marathon. Und meine Ruhe. Und als der Dr. Seuss-Klassiker mit Jim Carrey über den Bildschirm flimmert, dämmert es mir. Ich bin… der Grinch. Ich bin diese ekelhafte, grüne Figur, die Weihnachten auf den Tod nicht ausstehen kann. Und allen Menschen die Feiertage versauen möchte. Großartig. Aber warum? Woher kommt diese Aversion, die scheinbar über die Jahre immer größer geworden ist? Wann ist mir der Weihnachtszauber abhanden gekommen?
Ich denke angestrengt nach, wann ich das letzte Mal so richtig unbeschwert in das Weihnachtsgefühl eintauchen konnte. Und die Antwort gefällt mir nicht. Es ist das letzte Weihnachten, an dem ich nicht allein war. Vor 16 Jahren. Alle folgenden Feste habe ich als Single verbracht. Und jedes Jahr wurde die Enttäuschung größer, wenn mein Vorjahreswunsch „und nächstes Jahr bin ich nicht mehr allein“ sich wieder nicht erfüllt hatte.
Do I know it’s Christmas?
Ich beschenke nach wie vor gerne Freunde und Familie. Versuche für jeden etwas zu finden, das ihm auch wirklich gefällt und mache mir Gedanken. Packe die Geschenke kunstvoll ein. Und freue mich am meisten, wenn die Augen beim Auspacken leuchten und alle irgendwie beseelt und erfüllt vom Weihnachtsgefühl sind. Aber wie so oft bleibt das etwas, das den anderen vorbehalten ist. Natürlich freue auch ich mich über die Dinge, die andere liebevoll für mich aussuchen.
Aber alles Materielle bedeutet mir an diesen Tagen nicht sonderlich viel. Weil mir dann schmerzlich bewusst wird, wie gerne ich diesen einen besonderen Menschen hätte. Der mit mir unter dem Baum sitzt. Tante Elfies Gezeter anhört. Omas Geschirr abwäscht. Und dann, wenn alles wieder still ist, mit mir nach Hause geht.
Dann würde vielleicht auch dieses Abschottungsgefühl weggehen. Jedes Jahr scheint die Mauer dicker zu werden, die sich zwischen mir und den Weihnachtstagen aufgebaut hat. Immer weiter weg erscheinen Weihnachtsmärkte, Weihnachtslieder, die vielen Lichter und die Advents-Treffen mit Freunden in gemütlichen, weihnachtlich dekorierten Cafés. Und ich möchte mir am liebsten die Ohren zuhalten, als der Kollege mir erzählt, dass seine neue Flamme ihm doch tatsächlich einen Adventskalender gebastelt hat, als wäre das das achte Weltwunder. Wow. Standard. Für mich wär’s das jedenfalls. Und dann fällt mir Weihnachten 2014 ein, als ich meinen mit Liebe verpackten Adventskalender für meinen damaligen Freund wieder fein säuberlich auswickeln durfte, weil der Herr keinen Bock mehr auf mich hatte.
Wie betäubt gehe ich durch diese Zeit, ignoriere bis zum 24. Dezember, dass es um mich herum weihnachtet (bei 15 Grad im Schatten zum Glück nicht allzu schwer) und hoffe inständig, dass die Feiertage schnell vorbeigehen. Und ich am allerschlimmsten Tag des Jahres – Silvester nämlich – wenigstens nicht allein zuhause sitze.
Dabei ist es genau wie beim Grinch. In Wirklichkeit hat er Weihnachten furchtbar gern. Aber das alles an ihn ranzulassen, würde ihm nur vor Augen führen, was fehlt. Ich bin nicht undankbar. Ich weiß, was und vor allem wen ich habe und das ist nicht selbstverständlich. Aber nichts und niemand ersetzt den Menschen, der zu einem gehört. Besonders in der Weihnachtszeit.
Ich hoffe, ich kann nächstes Jahr um diese Zeit endlich wieder Plätzchen backen. Die Wohnung dekorieren und vielleicht meinen ersten eigenen Weihnachtsbaum aufstellen. Und jemanden an der Hand nehmen, mit ihm in Omas Keller gehen und von den wundervollen Weihnachten bei meinen Großeltern erzählen. Please come home for Christmas.

Wie verbringt Ihr die Weihnachtszeit? Lasst Ihr Euch komplett von den Jingle Bells mitreißen oder geht Ihr auch lieber auf Abstand? Und wenn ja, warum?
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