Liebe auf den 1. Blick

Wenn mich jemand nach meiner Vorstellung einer perfekten Beziehung fragt, sage ich meistens: „Ich finde, man muss mit seinem besten Freund zusammen sein. Man muss ein Team sein, denn das ist das, was bleibt, wenn die rosarote Brille langsam verschwindet. Und nur dann übersteht man Höhen und Tiefen.“ Und daran glaube ich auch. Und eher nicht an Liebe auf den 1. Blick. Aber ganz ohne rosarote Brille geht es ja offensichtlich auch nicht. Und die muss man auch erstmal auf haben.

Unter anderem deswegen ist Onlinedating für mich der blanke Horror. Bei einer App entscheidet man quasi nur nach Bildern und bei den anderen, die eine ausführlichere Profilbeschreibung erfordern, wird meistens gelogen. Geradezu kriminell sogar.

Onlinedating: Eine einzige Geisterbahn.

Mit Schrecken erinnere ich mich an die Datingkatastrophen meiner guten Freundin Katharina. Bei der der gutsituierte Arzt plötzlich mit seiner Exfreundin in den Urlaub wollte. Oder an den Typen, der sich nie mit ihr bei sich zuhause treffen wollte. Bis sie mal unangemeldet hinfuhr. Und sich dann plötzlich auf der benachbarten Terrasse wiederfand. Die gehörte den Eltern seiner Frau, mit der er seit 14 Jahren zusammen war. Und die ähnlich dumm aus der Wäsche schaute wie Katharina. Ein völlig surreales Szenario. Nur leider ist jede Silbe davon wahr.

Da kann’s einem echt vergehen. Und das Schlimmste: Die meisten dieser Psychopathen treiben sich auf den teuren Bezahlportalen rum. Weil man da nicht so einfach reinschauen kann und das Bild schön geblurrt wird, bis man sich ganz sicher ist, dass nicht etwa die eigene Frau oder ihre beste Freundin der aktuelle Fang ist.

Ganz selten findet man aber zwischen Dieter, 55, irgendwie nie sesshaft geworden und jetzt, im besten Mannesalter, den Geistesblitz erhaltend, dass man sich doch nochmal eine Mittdreißigerin rauslassen könnte, Steve, 32, Kernkompetenz: sich ohne Shirt vor seinem 5er BMW oder optional im Fitness Studio fotografieren,  und Jürgen, 42, noch nie ne nackte Frau gesehen, ab und zu auch einen halbwegs normal anmutenden jungen Mann. Ende 30, gutaussehend, Ingenieur (den muss ich schon mal nicht durchfüttern. Großartig.), nur mit Mädels aufgewachsen, wirkte sehr ehrlich und nett.

Nicht dass ich eine Checkliste hätte, aber die Rahmenbedingungen fand ich ganz ansprechend. Und ich hatte von Typen genug, bei denen eigentlich schon auf den 1. Blick klar gewesen war, dass sie null zu mir passten. Zumal er mir, als ich nach Monaten auf seine Nachricht antwortete, sofort sagte, dass er inzwischen jemand anderen kennengelernt hätte und das nicht verschweigen wollte. Ungefragt ehrlich. Genau mein Ding.

Als sich das mit der anderen Frau nicht so wirklich entwickelte, meldete er sich wieder bei mir. Wir trafen uns und haben uns ganz gut unterhalten. Bei mir war es keine Liebe auf den 1. Blick, aber daran glaube ich sowieso nicht mehr wirklich. Meine ersten Zweifel hatte ich, als er beim Essen den Minzezweig aus seinem Cocktail im Kräutertöpfchen auf dem Tisch entsorgte und der Kellner das Objekt mit spitzen Fingern und finsterer Miene aus dem Übergangsmüllcontainer entfernte.

Und ich am liebsten im Erdboden versunken wäre. Eine Banalität, über die ich versuchte hinwegzusehen. Weil ich schon wieder die Stimmen meiner Kollegen hörte. “Was DU immer hast. Viel zu anspruchsvoll.“ Und ja, im Grunde war es EINE Situation, die bei mir Stirnrunzeln verursacht hatte.

Mr. Perfect. Und dann irgendwie doch nicht so cool.

Aber irgendwie fühlte ich mich in meiner Ahnung bestätigt, dass es nicht so wirklich passte. Ich weiß nicht warum, aber da war es wieder. Dieses nicht zu definierende Quäntchen Rest, das über verlieben oder nicht verlieben entscheidet. Das wahrscheinlich schon die ganze Zeit nicht dagewesen war. Und nur darauf wartete, dass etwas passierte, auf das ich mich mit ausgestrecktem Zeigefinger und einem lauten „HA! Wusste ich doch, dass das mit uns nichts wird.“ stürzen konnte.

Manchmal muss man dann doch etwas genauer nachfragen.

Trotzdem ignorierte ich mein Bauchgefühl, dass dieser Kerl irgendwie emotional-intelligent nicht so ganz mein Match war und traf mich weiter mit ihm. Schließlich bin ich eine große Verfechterin davon, dass man sich durchaus auch nach einiger Zeit erst verlieben kann. Dass ich mich in seiner Gegenwart oft unwohl fühlte, weil ich permanent das Gefühl hatte, er würde gleich über mich herfallen, schob ich einfach auf meine Angst vor Nähe.

Bis zu dem Punkt, an dem die Themen etwas ernster wurden und ich mein seltsames Bauchgefühl vorsichtig versuchte, in Worte zu fassen. Ich interessierte mich für seine früheren, offenbar immer langjährigen Beziehungen. Irgendwie erzählte er immer recht emotionslos davon, was mich hellhörig werden ließ. Und ich fragte nach dem Grund für die Trennungen. „Tja, da hat mich dann immer irgendwas gestört und dann hab ich Schluss gemacht.“ Ok wow.

Und plötzlich hatte er in nur einem Satz zusammengefasst, was ich die ganze Zeit geahnt hatte. Dass ihm relativ egal war, wer ihm da gegenüber saß.  Hauptsache nicht potthässlich. Und dass alle Gespräche eher oberflächliches Geplänkel waren, die letztendlich nur zu dem Ziel führen sollten, mich endlich anzufassen. Und das wollte ich die ganze Zeit nicht.

Klar. Zuerst suchte ich wie immer den Fehler bei mir. So wird das nie was, stell dich nicht so an. Wer soll denn da jetzt noch kommen, der deinen Ansprüchen noch mehr entspricht? Aber dann erinnerte ich mich wieder daran, dass keine noch so detaillierte Analyse in meinem Kopf das erklären konnte, was mein Bauch entschieden hatte. Und dass Männer, für die ich echte Gefühle gehabt hatte, weit weg von Checklisten-perfekt waren, mir aber ein ganz anderes Gefühl vermittelt hatten. Was die Sache natürlich nicht einfacher macht.

Ich glaube nach wie vor daran, dass man sich in Menschen verlieben kann, die man schon eine Weile kennt. Aber irgendwie scheint sich doch gleich am Anfang zu entscheiden, ob man hier unbewusst zumindest neutral oder gar nicht offen ist. Oder doch nicht? Und es sind manchmal einfach die Umstände? Die von mir viel zitierte Datingsituation unter Druck, die einen viel strenger urteilen lässt?

Ich bin verwirrt. Und offensichtlich helfen Checklisten gleich zwei Mal nicht. Zum Teufel mit dem Onlinedating. Worauf soll man sich denn dann bitte noch verlassen können? Ich ahne, warum das Konzept von „Hochzeit auf den 1. Blick“ so gut wie nie funktioniert. Liebe lässt sich einfach nicht in Zahlen fassen.

Vermutlich denke ich wie immer zu viel darüber nach. Oder ich habe noch nicht den Richtigen kennengelernt. Aber warum kriegen die anderen es dann alle hin?

Liebe ja. Aber wenn’s nicht passt, dann passt es nicht. Thank you, next.

Wie seht Ihr das? Liebe auf den 1. Blick oder eher langsam verlieben in den guten Freund? Was entscheidet Eurer Meinung nach darüber, ob jemand maximal ein Freund bleiben kann oder der Partner für’s Leben wird? Und wie lange sollte man jemanden treffen, bis man entscheiden kann, ob es passt oder nicht?

Lasst es uns wissen, in den Kommentaren oder auf Facebook und Instagram.

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4 Antworten zu „Liebe auf den 1. Blick? Not for me. Glaub ich.”.

  1. Hallo,

    Nun nicht nur die Kurzversion auf FB gelesen, sondern den ganzen Artikel. 🙂
    Yeah!
    Wieder voll schön geschrieben! Wie in FB schon kurz gesagt, ich glaube auch nicht an die Liebe auf den ersten Blick. Aber auf die Schwingung, Wellenlänge und Sympathie der ersten Begegnung aus der dann wahre Liebe werden kann. Das heutige „daten“ bekomme ich von Freundinnen und Freunden mit, und ich hätte da auch Schwierigkeiten mit , und meine Freunde die „daten“ ebenso. Ein Bild versendet ja auch nichts ausser Pixel und Papier ist geduldig und sehr auslegfähig 😉 . Ich denke immer, und so war es bei mir immer, auch bei der Begegung mit meinem Mann, wenn man nicht aktiv auf der Suche ist, und es nicht erwartet, dann passiert ist. Diese Schwingung, die dein Leben dann total zum Gutem verändert.
    Herzliche Grüße,
    Britta

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    1. Danke für Deinen lieben Kommentar, Britta. Ja, so ähnlich sehe ich es auch. Man wird auch älter und vorsichtiger 😉

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  2. Guten Morgen Jenny,
    Danke für deine Antwort. Ich glaube man sollte nicht vorsichtiger werden sondern offen bleiben. Durch die vielen Erfahrungswerte unseres Alters 😉 kann man Situationen ja auch besser einschätzen und trotzdem sich nicht verschließen. Und da man mehr Erfahrung hat, kann man sich auch aus schwierigen Situationen besser „befreien“. Es kommt oft einfach unerwartet und dann sich drauf einlassen zu können, kann doch etwas schönes Entstehen lassen. Oder was denkst du?

    Liebe Grüße,
    Britta

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